Groß Schönebeck, Brandenburg, Deutschland

Groß Schönebeck ist zusammen mit vier kleineren Siedlungen ein Ortsteil der 2003 geschaffenen Großgemeinde Schorfheide. Groß Schönebeck umfasst dabei lediglich 1.740 von rund 10.000 EinwohnerInnen der Gesamtgemeinde. Der Ort liegt am südlichen Rand einer schwach hügeligen eiszeitlichen Moränenlandschaft, auf der sich die so genannte Schorfheide, ein riesiges Waldgebiet mit vielen kleineren und größeren Seen, ausgeprägt hat.

In den beiden letzten Jahrhunderten hat sich daraus ein Jagdrevier entwickelt, das von den jeweiligen staatlichen Autoritäten – die preußischen Kaiser, die NS-Machthaber und schließlich die DDR-Größen – immer intensiver bis hin zur Gatterjagd genutzt wurde. Bedeutend waren zu allen Zeiten die Begegnungen mit den Mächtigen während und nach den Jagden. Daraus lassen sich Entscheidungen ableiten, die mit wichtigen geschichtlichen Ereignissen verbunden sind. Der Titel der sehr gut aufbereiteten Dauerausstellung „Jagd und Macht“ im Schloss mit 10.000 bis 12.000 BesucherInnen jährlich sagt das sehr treffend aus.

Die zentralen Funktionen einer Holzwirtschaft mit Sägewerken sowie das Staatsjagdrevier gingen nach der Wende verloren. Am Tiefpunkt gab es beispielsweise an die 30 Prozent Arbeitslose, jetzt sind es nur mehr vier bis fünf Prozent, was nicht zuletzt auch an der außergewöhnlich hohen Zahl von 120 vor allem kleingewerblichen Unternehmen liegt. Anstelle von Forstwirtschaft und Jagd traten vielfach Widmungen als Schutzgebiete. Dreiviertel der Flächen der Gemarkung von Groß Schönebeck liegen im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin.

Mit dieser Richtungsentscheidung war ein radikaler Wandel auf allen Ebenen eingeleitet. Nach Jahren des ökonomischen und demografischen „Ausblutens“ drückt sich der gesamte Funktionswandel im Leitbild von 2008 aus: „Wohnen und Erholen in einer einzigartigen und weitgehend intakten Landschaft mit naturorientierten Freizeitfunktionen“. Die Initialzündung zur Umkehrung des Niedergangs kam 2007. Rund um eine große Jubiläumsfeier mit geschichtlichen Rückblicken ergab sich ein Zusammenrücken der Menschen über die Vereine hinweg, das bald in die Gründung des Bürgervereins Groß Schönebeck mündete.

Im engen Zusammenwirken mit dem Ortsbeirat wurden innerhalb des letzten Jahrzehntes viele Projekte umgesetzt. Sie stehen einerseits im Zusammenhang mit einer erlebnisorientierten Nachnutzung vergangener Funktionen, die auch von einer intensiven und kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte verbunden ist, und zugleich im bewussten Annehmen und kreativen Weiterentwickeln der neuen Gegebenheiten. Immer wieder bestechen dabei das Miteinander der Beteiligten und die kluge Bündelung der Projekte.

Das zeigt sich durchgängig: Die vergangenheitsbedingte Großlandwirtschaft, die auf den mageren Böden extensive Viehwirtschaft mit Grünland und vielfältiger Fruchtfolgen betreibt, spricht sich beispielsweise beim Austragen des erforderlichen Pflanzenschutzes mit den ImkerInnen ab. Diese integrierte Betrachtungsweise zeigt sich auch bei der Pflege und Neuanlage von Hecken, Blühstreifen und Pufferstreifen, die von JägerInnen und NaturliebhaberInnen gemeinsam geplant und verwirklicht werden.

Zur Sicherung der Nahversorgung ist es gelungen, den EDEKA- Markt auf rund 8.000 Produkte zu vergrößern und zu qualifizieren. Drei regionale Buslinien, und die Heidekrautbahn gewährleisten eine gute Mobilität, die auch tägliches Pendeln nach Berlin problemlos ermöglicht. Eine Stromtankstelle beim Bahnhof reiht sich in eine Reihe privater Projekte zur Erzeugung alternativer Energien ein. Groß Schönebeck ist darüber hinaus Referenzstandort für die Europäische Geothermieforschung und strebt als Pilotprojekt eine Umstellung der Heidekrautbahn zum weltweit ersten wasserstoffbetriebenen Zug an.

Bei der baulichen Entwicklung und Gestaltung steht die Nutzung der innerörtlichen Gebäude und Flächen im Vordergrund. Die Mitte des Dorfes mit ehemaliger Schule und Pfarrhaus samt Scheune und Kirche steht unter Denkmalschutz. Das Areal rund um das Jagdschloss wurde baulich saniert und in einen multifunktionalen Raum umgestaltet. So sind mehrere Bildungseinrichtungen als Campus eingerichtet: Kindergarten, Grundschule und die Waldschule „Jägerhaus“, die auch für Touristen mit vielen tollen Angeboten die Erlebniswelten des Biosphärenreservates näher bringt.

Ein eigener Veranstaltungsmanager sorgt für Konzerte, Lesungen und sonstige Veranstaltungen. Bemerkenswert ist auch die Sanierung einer alten Schmiede, die allen Vereinen des Ortes als Mittelpunkt des soziokulturellen Lebens zur Verfügung steht. Drehscheibe für sämtliche Entwicklungen ist der Bürgerverein, der – unter Einbindung modernster Kommunikationsmittel – auf Partizipation und Beteiligung von höchster Qualität setzt.

Die Offenheit der Groß Schönebecker für Neues und Andersartiges ist besonders spürbar. Diese von Offenheit getragene Stimmung im Ort manifestiert sich nicht nur daran, dass es erste „RückkehrerInnen“ gibt, die in der Zeit nach der Wende in ganz Deutschland ihr Glück gesucht hatten, sondern auch im Umgang mit Geflüchteten, die rund drei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie wurden und werden von einem „Willkommensteam“ betreut und sind bestens integriert. Ein Highlight ist dabei der Garten der Nationen, wo Alteingesessene und aus Nah und Fern Zugezogene gemeinsam Gemüse kultivieren.

Es ist den Groß SchönebeckerInnen gelungen, einen radikalen Wandel durch kreative, innovative und stark gemeinschaftlich orientierte Projekte unter Einbeziehung aller Gruppen im Dorf zu bewältigen und ein neues positives Lebensgefühl zu verbreiten. Diese Leistung ist schließlich auch angesichts der Tatsache besonders hervorzustreichen, dass man innerhalb in vielen Entwicklungsfragen und bei Projektgenehmigungen von der Überzeugungsarbeit und der Meinungsbildung in der Großgemeinde abhängig ist.

Evaluiert: 2018