Flegessen-Hasperde-Klein Süntel, Niedersachsen, Deutschland

Die Dörfergemeinschaft Flegessen-Hasperde-Klein Süntel als Verwaltungseinheit der Gemeinde Bad Münder im Weserbergland mit rund 1.580 EinwohnerInnen besticht durch einen außergewöhnlichen Bottom-up-Prozess einer selbstbestimmten und selbstverantworteten Erneuerung, der ansteckende oder bestärkende Inspiration für viele ländlichen Regionen Europas sein kann.

Dieser Entwicklungsprozess gründet nicht auf einschlägigen Förderprogrammen und Fördertöpfen, sondern auf Eigeninitiative, Ehrenamt, Privatspenden und einem unternehmerischen Risiko, eingegangen von Gemeinschaften aus der Zivilgesellschaft. Eine beeindruckend umfassende Auseinandersetzung mit den Herausforderungen einer ländlichen Region, die geprägt wird durch globalisierte Wirtschaft, Fremdversorgung sowie übergeordnete Politikentscheidungen, führte zu der Überzeugung, dass ein zukunftsorientiertes und nachhaltiges Leben im ländlichen Raum vor allem durch eine regionalisierte und gemeinwohlorientierte (Land-) Wirtschaft, Ernährung, Energieerzeugung und Mobilität verwirklicht werden kann.

Auf der Basis eines zunehmend vernetzten globalen Wissens- und Erfahrungsaustausches, auch in der Teilnahme an Forschungsprojekten des Bundes, und der Nutzung konkreter Potenziale vor Ort wurde und wird in den drei Dörfern in einem frischen und erfrischenden Geist weiter gedacht. Die Zukunft wird mit vielen kleinen und großen Projekten entworfen und aktiv gestaltet. Alle BewohnerInnen sind aktiv eingeladen, diesem neuen Weg zu folgen, auch wenn das viele Stunden an Entwicklungs- und Überzeugungsarbeit in der 2012 ins Leben gerufenen partizipativen, basisdemokratischen, vereins- und parteienübergreifenden „Ideenwerkstatt Dorfzukunft“ bedeutet. Mit Erfolg: Die Gruppe der Aktiven, die zweifelsohne als Potenzialentfaltungsgemeinschaft bezeichnet werden darf, umfasst heute etwa 350 BürgerInnen zwischen vier und 90 Jahren.

Der Schlüssel des Erfolgsprozesses liegt in einer herzlichen und gleichzeitig konstruktiven Anpack- und Mitmachkultur. Und er liegt auch in der fruchtbaren Vielfalt aller Beteiligten: Alteingesessene wie Zugezogene bereichern einander auf beeindruckende Weise. Die Dörfergemeinschaft Flegessen-Hasperde-Klein Süntel wurde für ihr aktives und selbstverwaltetes BürgerInnenengagement von der Ideenfindung, über die Projektkonzeption und die Finanzierung bis hin zur Realisierung und zum Management mehrfach ausgezeichnet und ist, gerade wegen der multiplizierbaren Wege, zu einem Referenzort weit über Niedersachsen hinaus geworden.

Die konkreten Umsetzungen reichen vom Programmkino in der Kirche, einer zu ironischer Selbstreflexion anstiftenden Film-AG, der Dorfzeitung „Süntelblatt“, einer Immobilien-Leerstands-Vermittlungs-AG für „Neues Leben in alten Mauern“, einem Repair-Café als deutliches Zeichen gegen die Wegwerfmentalität, einem kreativen Mitfahrpunkt mit Mitfahrplan und Whatsapp-Nutzung und einem in Planung befindlichen gemeinschaftlichen Wohnprojekt im ehemaligen Pfarrhaus, um nur einige zu nennen.

Ein echter Leuchtturm ist der als Unternehmer- und Verbrauchergemeinschaft geführte Dorfladen mit ausschließlich biologischen oder regionalen Lebensmitteln. Durch den ehrenamtlich von den Mitgliedern selbst bewerkstelligten Betrieb können die hochwertigen Produkte bemerkenswert günstig angeboten werden. Auch die Konzeption und der Bau des Dorfladens erfolgten ganz ohne öffentliche Fördermittel. Diese unkonventionelle Form des Arbeitens und Gründens im ländlichen Raum wird durch einen Co-Working-Space mit Start-up-Betreuung im Dachgeschoss des Gemeinschaftshauses breiter aufgestellt.

Eine weitere Vision ist es, dass schrittweise „Mikrofarmen“ für Gemüse und Obst die bisherigen Bio-Großlieferanten ersetzen. Jungbäuerinnen und Jungbauern aus dem Dorf bauen heute schon Kartoffeln und Zwiebeln auf diese Weise an und beliefern den Dorfladen. Noch konventionell wirtschaftende Landwirte beteiligen sich an Studien, wie sie beispielsweise ihre Schweinemast auf Tierwohl und regionale Kreisläufe ein- und umstellen können.

Ganzheitliche Wirtschaftsförderung als Regionalwert AG und eine regionale Währung im Weserbergland sind die nächsten längerfristigen Ziele, die sich inhaltlich auch aus den direkten Kontakten zur Wirtschaftsfakultät der Hochschule Hannover speisen.

Es gelingt in den Dörfern Flegessen, Hasperde und Klein Süntel auf bemerkenswerte Weise, erhaltens- und schützenswerte dörfliche Traditionen zu bewahren, was auch in einem traditionsreichen Vereinsleben seinen Niederschlag findet, und gleichzeitig völlig neue Zukunftsvisionen zu entwickeln und in Projekten umzusetzen. Einen Schlüsselfaktor dafür stellt die ausgesprochen gute Gesprächs- und Diskussionskultur dar, die als Resultat des aktiv betriebenen Beteiligungsprozesses und transparenter Informationsflüsse zu sehen ist.

Die Dörfergemeinschaft Flegessen-Hasperde-Klein Süntel wird mit dem Innovationspreis in memoriam Camille Gira sowie mit einem Europäischen Dorferneuerungspreis für eine ganzheitliche, nachhaltige und mottogerechte Dorfentwicklung von herausragender Qualität ausgezeichnet.

Evaluiert: 2018