Herrnhut, Sachsen, Deutschland

Die Gemeinde Herrnhut mit ihren knapp 6.000 EinwohnerInnen in zwölf Ortsteilen liegt im sächsischen Landkreis Görlitz in der Oberlausitz zentral zwischen den Mittelzentren Löbau und Zittau. Dresden ist rund 70 Kilometer entfernt. Die Gründung des Ortes erfolgte 1722, als Glaubensflüchtlingen aus Böhmen und Mähren die Aufnahme auf dem Gut Berthelsdorf gewährt wurde. Herrnhut war und ist Hauptsitz der Herrnhuter Brüdergemeinde, einer evangelischen Unität, die als „Moravian Church“ in 30 Ländern mit 1,2 Millionen Mitgliedern vertreten ist.

Das Leben in der Gemeinde wird auch heute noch durch verschiedene Institutionen der Unität geprägt: Bestes Beispiel ist das Besucherzentrum der Herrnhuter Sternemanufaktur, die pro Jahr bis zu 70.000 BesucherInnen anlockt. Den Alltag prägen die Stiftung, die evangelischen Schulen (Gymnasium und Oberschule), das Unitätsarchiv, das Völkerkundemuseum, das aus der Sammeltätigkeit der Unitäts-Missionare entstand und heute Teil der Staatlichen Kunstsammlung Dresden ist, der Betsaal, der neben seinen religiösen Funktionen auch als sozio-kultureller Treffpunkt für die Allgemeinheit dient und anderes mehr.

Im Vergleich zu 1990 ist die Bevölkerung um ein Viertel geschrumpft, seit 2007 hat sich aber die Zahl mittelständischer Betriebe in Handel, Gewerbe, Industrie und im Dienstleistungssektor verdoppelt und die Arbeitsplätze nahmen um rund 15 Prozent zu. In der Gemeinde herrscht deshalb heute sogar ein Mangel an Arbeitskräften. Gleichzeitig verzeichnet Herrnhut seit einigen Jahren wieder einen leichten Zuzug, vielfach sind es die Nachkommen ehemaliger EinwohnerInnen von Herrnhut, die entweder die kulturgeschichtlich prägenden Umgebindehäuser renovieren und wiederbeleben oder neu bauen.

Das Zentrum von Herrnhut wurde 1945 durch einen Brand zerstört. Einigen Renovierungen zu DDR-Zeiten folgte von 1995 bis 2015 im Rahmen des städtebaulichen Denkmalschutzes eine Rekonstruktion der historischen Dorfmitte. Hierbei wurden Ruinen sachgerecht renoviert, aber auch neue Gebäude nach dem Vorbild der alten Architektur erbaut. Auf diese Weise wurde ein zwar nicht gewachsenes, aber homogenes Ortszentrum geschaffen.

Politisch ist es der Gemeinde Herrnhut gelungen, bis 2013 mehrere kleinere Gemeinden zu integrieren. Alle größeren eingemeindeten Orte wurden mit sozialen Treffpunkten ausgestattet, die die Gemeinde verwaltet. Auch fördert sie das aktive Vereinsleben und forciert die Zusammenarbeit durch Vereinstreffen, bei denen engagierte BürgerInnen Anerkennung finden, sich austauschen und weiter vernetzen können.

Neben der – meist privaten – Renovierung und Pflege der Umgebindehäuser ist die 2002 gestartete Renovierung des sich im Verfall befindlichen Schlosses in Berthelsdorf ein Leuchtturmprojekt. Die Initiative ergriffen ausländische Mitglieder der Brüdergemeinde, die im Ort engagierte PartnerInnen für das Projekt vorfanden. Durch viel Engagement gelang es nicht nur, einen beträchtlichen Eigenanteil, sondern auch eine größere Summe an Fördergeldern in die Renovierung von zwei Hauptgebäuden einzubringen, die als Museum, Tagungsort und kulturelles Zentrum der Gemeinde und der Region dienen.

Wie stark der Ort durch seine Geschichte geprägt ist, zeigt auch der zu DDR-Zeiten als einflussreiche oppositionelle Zelle geltende Katharinenhof, der eine behindertengerechte Pflege- und Wohneinrichtung beheimatet, eine Cafeteria bietet und das Gemeindeleben unter anderem mit einem Programmkino und sonstigen Veranstaltungen bereichert. Auch bei der Errichtung des Ärztehauses, das heute ein modernes Zentrum für die Gesundheitsversorgung ist, wurde auf die Renovierung alter Bausubstanz gesetzt.

Die Nutzung der umliegenden Wälder erfolgt nachhaltig und naturnah, unter anderem wird das Holz für die Bereitstellung von Biomasse-Nahmwärme verwendet. Zahlreiche öffentliche bzw. der Gemeinde unterstellte Gebäude wurden in den vergangenen Jahren energetisch saniert und die Straßenbeleuchtung auf das energiesparende LED-System umgerüstet. Zur Verbesserung der Mobilität der BürgerInnen und der Möglichkeit, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, wurde in fußläufiger Distanz zum Zentrum von Herrnhut ein Busplatz als ÖPNV-Knoten errichtet. Erwähnenswert sind schließlich noch die grenzüberschreitenden Kontakte in die unmittelbar angrenzende Tschechische Republik, die insbesondere über touristische Projekte sowie über eine Kooperation der Feuerwehren im Rahmen von Katastrophenschutzplänen gepflegt werden.

In Herrnhut ist es gelungen, die vorhandenen Ressourcen auszuschöpfen und die bedeutsamen Spuren und Zeugnisse der Vergangenheit als Kapital für Gegenwart und Zukunft zu erkennen und zu nutzen. Als vorbildhaft ist die harmonische Integration ehemals eigenständiger Gemeinden in die Großgemeinde zu bewerten.

Evaluiert: 2020