Langenreichenbach, Sachsen, Deutschland

Die Gemeinde Langenreichenbach liegt als üppig durchgrüntes Straßendorf inmitten von ebenen, landwirtschaftlich genutzten Ackerflächen einer typischen ehemaligen DDR- LPG-Kulturlandschaft: mit nur wenigen Strauch- und Baumgruppen, ohne Wald-, Fluss- oder Seenähe, fernab von überregionalen Anbindungen an Eisen- oder Autobahn und ohne Ausrichtung auf Fremdenverkehr. Die 750 EinwohnerInnen haben aus dieser Auf-sich-selbst-Bezogenheit durch Gemeindegebietsreformen 1994 und 1999 eine Tugend gemacht, die das Dorf als „soziales Kraftwerk“ – gemäß dem eigens dafür gewählten Motto – speist. Der Bevölkerungsrückgang seit der politischen Wende 1989 konnte aufgrund der mittlerweile wieder steigenden Geburtenrate gestoppt werden. Abwanderungen jüngerer BürgerInnen gibt es kaum, allenfalls zu Ausbildungszwecken. Die besonders ausgeprägte Lebenszufriedenheit wurde im Rahmen einer Umfrage der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft jüngst auch empirisch dokumentiert.

Die seit 1990 weggebrochenen Erwerbsmöglichkeiten in klassischen Agrar- und Industriebetrieben werden durch Engagement und Eigeninitiative der Bevölkerung kompensiert. Beispiele dafür sind ein hoher Grad an Selbstversorgung in der Lebensmittelproduktion, unzählige freiwillige Stunden bei der Instandsetzung des Dorfes sowie im Vereinsleben, die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten in geschlossenen Wertschöpfungsketten wie etwa dem biologischen Gemüseanbau („Vom Mais bis zur Wurst“) oder im Zusammenhang mit der autonomen Energiegewinnung durch die agrargenossenschaftliche 500 kW-Biogasanlage und Solardachanlagen. Aus dieser Perspektive betrachtet haben herkömmliche Arbeitsplatzstatistiken wenig Aussagekraft. So lässt auch die Frauenerwerbsquote von offiziell nur 39 % nicht vermuten, dass beinahe alle Kinder vom 1. bis zum 6. Lebensjahr in der erst kürzlich erweiterten und wegen ihrer herausragenden pädagogischen Konzeption und Umsetzung landesweit prämierten Kindertagesstätte betreut werden.

Das enge soziale Netzwerk und das Miteinander aller Generationen spiegelt sich auch in der ganz auf Binnenentwicklung ausgerichteten Siedlungspolitik wider: Die vorherrschende Typologie der Dreiseitenhöfe wurde für Mehrgenerationenwohnen sowie Betriebsstätten nutzbar gemacht, Es gibt keinen Leerstand. Die 25 neuen Häuser wurden auf innerdörflichen Lückengrundstücken errichtet, Erhaltung steht aber vor Abriss und Neubau. Straßenfeste beleben den öffentlichen Straßenraum und stärken Nachbarschaften. Das noch auf seine Erneuerung wartende ehemalige Gutshaus wird als Jugendclub genutzt und von der Dorfjugend in Eigenregie unter- und damit erhalten. Die Sanierung der Kirche ist genauso eine gesamtdörfliche Gemeinschaftsleistung wie die bereits für Kleinkinder organisierte Ausbildung in der Freiwilligen Feuerwehr oder die 71 Schalmeienmusikanten, die auf hohem musikalischen Niveau auf gemeinschaftlich erworbenen Instrumenten ihre Musik weit hinaus bis nach Übersee tragen. Nicht nur auf solchen Reisen blicken die LangenreichenbacherInnen stolz über ihren Tellerrand. Zur nachhaltigen Sicherung der Lebensqualität ihres Dorfes können sie sich gerade auch in der Gemeinschaft der Europäischen Dorferneuerung Anregungen holen, wie sich etwa ihr soziales Kraftwerk nicht nur ideell, sondern auch energietechnisch selbst versorgen kann und dabei doch immer im geistigen und produktiven Austausch mit der Region steht.

Evaluiert: 2010